Rom etwas abseits der üblichen Pilgerströme. Zwischen Pinien und Zypressen erhebt sich eine Kirche, deren Name allein schon eine Brücke zu unseren Betrachtungen über das Kreuz als Mitte der Verkündigung schlägt: Santa Croce in Gerusalemme – das heilige Kreuz in Jerusalem.
Wer die Schwelle dieser Basilika betritt, steht auf heiliger Erde – im wörtlichen Sinn. Denn nach der Überlieferung ließ Kaiserin Helena, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, im vierten Jahrhundert Erde aus Jerusalem hierher bringen, damit Rom ein Stück vom Heiligen Land in sich trage. In dieser Erde errichtete sie eine Kapelle zur Aufbewahrung der Kreuzreliquien, die sie auf ihrer Pilgerreise in Jerusalem gefunden hatte. Dieser Ort steht für das Paradoxon des Glaubens: das Kreuz – Werkzeug des Todes – wird zum Zeichen des Lebens.
Die Basilika Santa Croce in Gerusalemme ist eine stille Schwester der großen römischen Patriarchalbasiliken. Ihr Inneres aber trägt die ganze Geschichte des Christentums in sich: vom Kreuz zur Auferstehung. In der Reliquienkapelle werden bis heute Stücke des Heiligen Kreuzes aufbewahrt, dazu ein Nagel der Kreuzigung, zwei Dornen aus der Dornenkrone, ein Stück der Tafel mit der Inschrift „Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum“ und ein Fragment der Säule, an der Christus gegeißelt wurde. Jeder dieser Gegenstände ist nicht Beweis, sondern Zeichen – wie die Sakramente selbst: sichtbare Gestalt unsichtbarer Gnade.
Hier wird erfahrbar, was Paulus in seinem Brief an die Galater schreibt: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,19–20) Das Kreuz, das in Santa Croce verehrt wird, ist kein Relikt des Schreckens, sondern eine Einladung zur Umgestaltung und Wandlung – zur Teilhabe an jener Liebe, die sich hingibt, um Leben zu schenken.
Auch kunsthistorisch ist die Basilika ein sprechendes Zeugnis des Glaubens. Das Gewölbe des Kirchenschiffs ist geschmückt mit Fresken, die die Auffindung des Kreuzes durch Helena zeigen – eine Szene, die in der christlichen Kunst immer als Entdeckung der Hoffnung gedeutet wurde: Das Kreuz, das vergessen und verschüttet war, wird neu ans Licht gehoben – so wie der Glaube selbst in jeder Generation neu entdeckt werden muss.
Im Inneren dieser Basilika wird spürbar, dass das Kreuz nicht nur ein theologisches Symbol ist, sondern eine Erfahrung. Die Pilger, die hier in Stille verweilen, tragen oft kleine Kreuze in der Hand, aus Olivenholz oder aus Metall. Sie beten nicht zum Leid, sondern durch das Leid hindurch – in der Hoffnung, dass Heilung geschieht, wo der Mensch sich öffnet für den, der selbst verwundet und getötet wurde.
Paulus schreibt an die Philipper: „Er war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht.“ (Phil 2,8–9) Diese Dynamik von Erniedrigung und Erhöhung, von Tod und Leben, von Karfreitag und Ostern ist in Santa Croce in Gerusalemme kein Gedankenspiel, sondern Architektur geworden.
Mit Santa Croce in Gerusalemme erinnert die katholische Kirche daran, dass christlicher Glaube auch von Zeichen lebt – und dass diese Zeichen uns in Beziehung setzen: zu Christus, zu seiner Passion, zu seiner Liebe. Hier ist das Kreuz nicht Dekoration, sondern Mitte. Das Kreuz im Leben zu sehen und in Christus zu wandeln, kann heißen: aus der Wunde kommt Leben, aus der Niederlage Sieg, aus dem Tod Auferstehung.