
Ein Bekannter sagte zu mir: „Ein Jahr kann weder gut noch schlecht sein, schon gar nicht heilig. Es ist neutral.“ Ist das so? Wir kennen den Ausdruck „annus horribilis“, ein schreckliches Jahr, wir blicken auf schlechte Zeiten zurück, wir wünschen uns zu Neujahr, dass die kommenden zwölf Monate (und mit ihnen wir selbst) glücklich, gesund und erfolgreich werden. Der Theologe Romano Guardini sagte einmal in Bezug auf Heiligkeit: „Sobald der Mensch in Gottes Nähe kommt, gerät er an seine Heiligkeit. Er wird inne, dass er selbst nicht-heilig ist. Er merkt, dass er da scheinbar nicht hinzugehört und fühlt den Antrieb, sich selbst aus dieser Nähe wegzunehmen.“ Wir merken: Wenn wir in Gottes Nähe kommen, verändern sich die Vorzeichen von Raum und Zeit. Begegnung mit Gott ist Begegnung mit dem Heiligen.
Wenn Möglichkeiten eröffnet werden, mit Gott in Beziehung zu treten, betreten wir heiligen Boden oder heilige Zeit. Und eben daran dachte Papst Bonifatius VIII., als er 1300 mit der Ausrufung des Heiligen Jahres eine Institution schuf, „die dem irdischen Sehnen ein ganz konkretes Ziel und einen zeitlichen Raum schenkt“ (Michael Hesemann). Es braucht immer den konkreten Raum und die konkrete Zeit, um Gott zu begegnen. Sonst bleibt es ein abstraktes Gedankenspiel. Bonifatius ließ zur Erinnerung an das Heilige Jahr eine Steintafel anfertigen, die noch heute im vatikanischen St. Peter nahe der Jubiläumspforte zu bewundern ist. Auf der Diözesanwallfahrt werden wir sie sehen und den offensichtlichen und geheimen Zeichen der Jubeljahre begegnen. Zwei Begriffe stechen hervor: Befreiung und Vergebung – jene Begriffe, die uns heilig machen, uns zu Gott führen, uns ganz-heitlich machen.
Das Heilige Jahr stand übrigens nicht auf tönernen Füßen, sondern auf einem alttestamentarischen Fundament. Der Name „Jobeljahr“ geht auf das Widderhorn (Yobel) zurück, mit dem das Gnadenjahr im Buch Levitikus ausgerufen wurde: alle 50 Jahre soll denen, die in das Land zurückkehren, die Schuld erlassen werden. Wer das hört durch den Ton des Widders, der kann jubeln. Somit ist das Vermischen von „yobel“ und „iubliare“ eigentlich ein sprachlicher Glücksgriff: die Schulden sind vergeben – das ist Grund zur Freude.
Im Evangelium nach Lukas (Lk 4, 16–21) kommt das ähnlich auf uns zu: „So kam er auch nach Nazaret ... und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen, reichte man ihm das Buch des Propheten Jesaja ... Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe ... damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. ... Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ Hier erfüllt sich, was uns in unserem Leben immer wieder fragen lässt: Wie wird mein Leben heil?
wissenswert
Ein besonderes Ereignis im Heiligen Jahr ist die Diözesanwallfahrt vom 17. bis 22. November mit Erzbischof Franz Lackner nach Rom. Als Vorbereitung auf diese Pilgerreise veröffentlicht das „Rupertusblatt“ eine 14-teilige Serie auf den Spuren der Heiligung und Hoffnung in der Ewigen Stadt.
Demnächst folgt Teil 3 der Serie mit dem Thema „Roma: Mater et caput. Warum wir ein Zentrum haben“.