
Der Glaube des Christentums wird oft mit dem Gleichnis vom Senfkorn beschrieben: aus Unscheinbarem kann Großes entstehen. Beim Blick auf die römische St.-Peter-Kathedrale erleben Besucherinnen und Besucher Ähnliches. Aus dem Grab eines Getöteten entstand das pulsierende Herz der katholischen Christenheit: Petrus, ein Fischer aus Galiläa.
Wer in der Michelangelo-Kuppel des Petersdomes in 120 Metern Höhe steht und einen schwindelerregenden Blick nach unten riskiert, der sieht direkt auf den Papstaltar, von Bernini mit einem majestätischen Baldachin bedeckt. Dieser steht der Überlieferung nach über dem Grab, wo der heilige Apostel Petrus beigesetzt wurde. Der Fischer aus Galiläa, der Jesus dreimal verleugnete, wurde zur zentralen Figur der kirchlichen Überlieferung. Die Worte Christi – „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ – bilden nicht nur das Fundament des päpstlichen Primats, sondern auch den geistigen Ursprung des Petersdoms.
Diese Kathedrale ist somit mehr als ein Bauwerk. Sie ist die steingewordene Manifestation einer Idee: dass der Glaube aus Schwäche erwachsen kann, dass Größe aus Kleinheit entsteht – wie ein Senfkorn, das nur dann wächst, wenn es in die Erde fällt und stirbt.
Der Petersdom ist tatsächlich über einer Totenstadt erbaut. Unter ihm befindet sich die so genannte vatikanische Nekropole, eine Begräbnisstätte neben dem Zirkus des Caligula, wo viele Christinnen und Christen in den 60 Jahren des 1. Jahrhunderts unter Nero den Märtyrertod fanden. Nicht von ungefähr heißt der Platz zwischen dem Petersdom und dem Campo Santo Teutonico „Piazza dei Protomartiri Romani“ (Platz der ersten römischen Märtyrer).
Hier ist auch der Eingang zu den „Scavi“, den Ausgrabungen unter dem Petersdom. Tief unter der Basilika verläuft eine schmale Gasse, die in einen Grabhof mündet, der um ein zentrales Grab errichtet wurde – an dessen Wand finden sich mehrfach der Name „Petrus“ sowie Botschaften auf Altgriechisch wie „Petros eni“ („Petrus ist hier“). Schließlich wurden in einem Hohlraum der Mauer Knochen entdeckt, die in den 1940er-Jahren als die Überreste des Apostels identifiziert und 1968 von Paul VI. offiziell bestätigt wurden.
Im vierten Jahrhundert ließ Kaiser Konstantin über diesem Grab die erste Basilika errichten. Im 16. Jahrhundert wurde sie durch einen Neubau ersetzt, der unter der Leitung großer Künstler wie Bramante, Michelangelo und Bernini entstand. Die heutige Basilika wurde 1626 geweiht. Ganz bewusst erinnert auch das Rund des Petersplatzes mit dem Obelisken im Zentrum an den einstigen Zirkus. Irgendwo am Rand hat man dann den Leichnam des Petrus verscharrt. Die Positionierung des Petersdomes ist somit erklärt.
„Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn ...“ lautet das Gleichnis aus dem Matthäus-Evangelium und bei den Kirchenvätern heißt es: „Das Blut der Märtyrer ist der Same für neue Christen.“ Inmitten der barocken Pracht, der marmorgefassten Triumphbögen und der vergoldeten Altäre steht dieses Bild im scharfen Kontrast zur äußeren Erscheinung. Doch gerade dieser Kontrast verweist auf ein spirituelles Paradoxon: Eine der größten Kirchen der Christenheit wurde aus dem unscheinbarsten Keim geboren. Wie schon eingangs beschrieben, macht diese Begegnung mit dem heiligen Petrus klar: Unscheinbares kann groß werden, Unverhofftes geschehen, Vorbilder neu gefunden und Schuld kann vergeben werden – wenn ein Schritt gewagt wird, der auch Opfer bedeutet.
wissenswert
Ein besonderes Ereignis im Heiligen Jahr ist die Diözesanwallfahrt vom 17. bis 22. November mit Erzbischof Franz Lackner nach Rom. Als Vorbereitung auf diese Pilgerreise veröffentlicht das „Rupertusblatt“ eine 14-teilige Serie auf den Spuren der Heiligung und Hoffnung in der Ewigen Stadt.