
Der Lärm der Stadt Rom liegt hinter den Pilgerinnen und Piglern, wenn sie die alten Kopfsteinpflaster der Via Appia Antica unter ihren Füßen spüren – jene Straße, die einst die Königin aller Straßen genannt wurde: „regina viarum“. Zwischen Zypressen und antiken Mauern öffnet sich ein Weg, der nicht nur in die Landschaft außerhalb Roms, sondern tief in die Geschichte und Anfänge des christlichen Glaubens führt: zu den Katakomben und den Märtyrern.
Die Via Appia war im alten Rom die große Lebensader des Reiches. Sie verband die Hauptstadt mit dem Süden Italiens – ein Symbol für Bewegung, Macht und Ausdehnung. Doch für die frühen Christen wurde sie zu etwas anderem: einem Weg der Flucht und der Hoffnung. Abseits der Stadtmauern, in den weichen Senken und Sandsteingruben, entstanden hier die Katakomben: „Catacumbae“ oder „cata tumbas“, was wir vom Griechischen her vielleicht als „hinab zu den Gruben“ übersetzen könnten – stille Orte des Gebets, der Erinnerung und Versammlung. Erst später dann ein Ort der Grablegung.
Eine dieser Stätten ist die Katakombe des heiligen Sebastian. Der Mann, nach dem dieser Ort benannt ist, war ein römischer Offizier, der wegen seines Glaubens unter Kaiser Diokletian das Martyrium erlitten hat. Fromme Christen bargen seinen Leichnam und bestatteten ihn im „coemeterium ad catacumbas“. Seine Grabstätte wurde im 4. Jahrhundert Ziel vieler Pilger.
Heute steht hier die Basilika San Sebastiano fuori le mura, schlicht und hell, aber reich an Symbolen. Sie gehört zu den sieben Pilgerkirchen Roms. Der Besucher erblickt in ihrem Inneren Marmor-Reliefs und Inschriften, die vom Leben und Sterben des Heiligen künden. Unter ihr fand man zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Versammlungsraum früher Christen. Besonders eindrucksvoll ist die marmorne Liegestatue des Sebastian, die dem Bernini-Schüler Giuseppe Giorgetti zugeschrieben wird: In seinem sterbenden Blick scheint uns die Frage „Wohin sollen wir gehen?“ beantwortet. Diese Frage begleitet jeden Pilger- und Lebensweg, ist sie doch nicht nur geografisch, sondern auch geistlich gemeint. „Wohin sollen wir gehen?“ Die Katakomben antworten: Geht in die Tiefe. Dorthin, wo der Glaube einen Ort hat und Heimat geben kann. Wo das Licht nur schwach fällt und doch stärker ist als die Schatten des Todes.
Nur wenige hundert Meter weiter steht eine kleine Kirche: Santa Maria in Palmis, besser bekannt als „Domine Quo Vadis“. Sie ist unscheinbar, kaum größer als eine Kapelle, und doch einer der geistlich bedeutendsten Orte der Via Appia. Hier – so berichtet die Legende – begegnete der Apostel Petrus dem auferstandenen Christus, als er Rom verlassen wollte, um der drohenden Verfolgung zu entkommen. Auf dem Weg hinaus traf er Jesus und fragte ihn: „Domine, quo vadis?“ – „Herr, wohin gehst du?“ Und Jesus antwortete: „Ich gehe nach Rom, um mich erneut kreuzigen zu lassen.“ Petrus verstand. Er kehrte um – bereit, seinem Herrn nachzufolgen, selbst in den Tod.
Im Boden der kleinen Kirche liegt eine Marmortafel mit zwei eingedrückten Fußspuren, die – der Überlieferung nach – an jene Erscheinung Christi erinnern. Ob authentisch oder symbolisch, sie geben eine Richtung vor: ad Christum. Zu Christus hin soll unser Weg gehen. Diese Szenerie fasst in wenigen Worten das Movens christlicher Nachfolge zusammen. „Wohin sollen wir gehen?“ fragt der Mensch, wenn er an einer Schwelle steht. Die Antwort, die Petrus einst gab, kann an diesem Ort, aber auch in den verschiedenen Momenten unseres Lebenswegs nachklingen: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,68)