RB: Nahezu jährlich werden zu Ihrem Spezialthema Umfragen durchgeführt und Daten gesammelt – aktuell mit der Frage „Was glaubt Österreich?“ von ORF und Universität Wien. Bringt diese Studie viele neue Erkenntnisse?
Univ.-Prof. Anton Bucher: Es wird eher Bekanntes bestätigt. Kirchen sind in einer schweren Glaubwürdigkeitskrise. Die Shell-Jugendstudie 2024 hat festgestellt, dass Institutionen wie politische Parteien, Banken oder die Polizei wesentlich mehr Vertrauen genießen als die Religionsgemeinschaften – was nach den vielen Skandalen auch durchaus nachvollziehbar ist. Auch laut der Ö3-Jugendstudie mit 30.000 Befragten empfinden nur noch fünf Prozent sehr starkes Vertrauen der Kirche gegenüber.
RB: Zeichnet sich diesbezüglich ein langfristiger Trend ab?
Bucher: Prognosen sind natürlich immer schwierig, aber von einem bin ich überzeugt: dass die Kirchenbindung in den nächsten Generationen noch schwächer wird. Zusehends mehr Kinder werden nicht mehr getauft und die kirchliche Religiosität in den Elternhäusern hat einen viel geringeren Stellenwert als noch vor zwei, drei Generationen.
RB: Warum spielt das Elternhaus eine so große Rolle?
Bucher: Das meiste, was wir lernen, lernen wir schon in frühen Jahren, vor allem über Vorbilder. In früheren Generationen waren es dann oft noch die Großeltern, die ein bisschen kompensiert haben, was die Eltern nicht taten. Aber mittlerweile gibt es auch viele Großeltern, die sich nicht mehr kirchlich gebunden fühlen.
RB: Stimmen also die Stereotype, dass die Jugend nur an ihr Vergnügen denkt, nicht arbeiten will und nicht besonders gläubig ist?
Bucher: Nein. Laut den Studien ist eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen davon überzeugt, dass es etwas Göttliches, eine höhere Macht gibt. Außerdem vertreten die jungen Menschen auch durchaus traditionelle humanistische und soziale Werte, planen für ihr Leben, eine Familie zu gründen und Kinder zu haben. Im Geiste des von mir hochgeschätzten Giovanni Bosco bin ich der Meinung: „Alle Jugendlichen können glauben, wenn man an sie glaubt.“ Aber das funktioniert nicht, wenn ich mit dem Bild an die Jugend herangehe, sie seien alle nur hedonistisch an Spaß und Genuss interessiert und hätten kein Interesse an Fragen des Glaubens.
RB: Sie haben geschildert, wie sich die Bedeutung des Glaubens in den Familien verändert hat. Sind also verstärkt die Schulen gefragt?
Bucher: Untersuchungen mit mehreren tausend Schülerinnen und Schülern haben ergeben: Es gelingt dem Religionsunterricht bei Kindern, die überhaupt keine religiöse Erziehung mitbekommen haben, zu etwa 40 Prozent, Religion als etwas zu vermitteln, das auch für sie wichtig sein könnte. Der Religionsunterricht leistet also viel, kann aber nicht völlig den Effekt einer Frühsozialisation im Elternhaus kompensieren. Diese Studienergebnisse stammen übrigens aus Deutschland, sind aber auf Österreich übertragbar.
Der Religionsunterricht war noch vor zwei, drei Generationen eines der unbeliebtesten Fächer und ist mittlerweile eines der beliebtesten.
RB: Als Experte für die empirische Forschung zum Religionsunterricht: was läuft da gut, was läuft schlecht?
Bucher: Der Religionsunterricht war ja noch vor zwei, drei Generationen eines der unbeliebtesten Fächer und ist mittlerweile eines der beliebteren. Das liegt an sehr kompetenten und engagierten Religionslehrerinnen und -lehrern, die nicht mehr so einen verkündigenden Unterricht erteilen, die auch nicht indoktrinieren oder mit Himmel, Hölle, Fegefeuer und so weiter drohen. Die Pädagoginnen und Pädagogen versuchen heute, einen menschenfreundlichen Jesus, einen menschenfreundlichen Gott zu vermitteln. Und es ist ihnen ein Anliegen, dass Schülerinnen und Schüler eigene Erfahrungen machen können: in religiösen Feiern, beim Beten, in der Kirchenraumpädagogik.
RB: Wie ist eigentlich in den heimischen Schulen die Entwicklung mit der Wahlmöglichkeit zwischen Ethik- und Religionsunterricht?
Bucher: Ich habe es ja nie verstanden, dass die Kirche früher gegen den Ethikunterricht war und darin eine Konkurrenz gesehen hat. Es hat sich dann auch gezeigt, dass der Ethikunterricht die Teilnahme am Religionsunterricht sogar stabilisiert hat – denn nichts ist eine größere Konkurrenz als zwei Freistunden. Aktuell ist es allerdings so, dass die Ethik-Quoten stärker werden, so wie sich immer mehr Menschen als konfessionsfrei verstehen. Angesichts dieser Entwicklung muss man sich überlegen, wie es mittel- und langfristig mit Religion in der Schule weitergehen soll. Es gibt ja auch andere Modelle, etwa jenes des gemeinsamen Ethik- und Religionsunterrichts in der Zentralschweiz.
RB: Welches Zukunftsmodell würden Sie persönlich empfehlen?
Bucher: Dass sich die Religionsgemeinschaften an einen Tisch setzen und auch mit der Vertretung des Staates überlegen, wie solch ein gemeinsames Pflichtfach „Ethik und Religionen“ in Zukunft aussehen könnte – das wäre gelebte Ökumene. Ich würde es auf jeden Fall enorm bedauerlich finden, wenn Religion aus der Schule verschwindet, wie das in Luxemburg passiert ist. Wir sind religiöse Wesen.
RB: Wie kann letztlich aus der Glaubensvermittlung in den Schulen auch eine Bindung an die Religionsgemeinschaften entstehen?
Bucher: Eine gute Frage. Bindungen entstehen weniger über Inhalte, sondern über Menschen. Ich denke daran, welch segensreiche Rolle so viele Jugendseelsorger, Kaplane, Vikare oder auch Katholische Jugend und Jungschar spielen. Sie gestalten mit Kindern und Jugendlichen die Freizeit und bauen Bindungen auf.
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