RB: Herr Erzbischof, wann beginnt für Sie persönlich das neue Jahr?
Erzbischof Franz Lackner: Für mich ist es eher das Kirchenjahr, das einen Neubeginn markiert – und dann der Advent. Diese Zeit erlebe ich in Stille, im Gebet und in Ruhe, begleitet vom Weihnachtsoratorium Bachs. Dazu kommt das Beten des neuen Breviers. Im Moment bete ich auf Englisch, danach folgen Latein und später Italienisch.
RB: Wenn Sie auf das Jahr in der Erzdiözese blicken: Was hat Sie bewegt?
Erzbischof Lackner: Wir haben vieles umgesetzt, etwa den Bau der BAfEP (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik). Auch den Organisationsentwicklungsprozess haben wir erfolgreich abgeschlossen. Nun steht die Domrestaurierung an. Ob sie noch in meiner Amtszeit gelingt, wird sich zeigen. Es wäre für mich eine große Freude, meinem Nachfolger einen im neuen Glanz erstrahlenden Dom übergeben zu können.
RB: Gibt es Vorsätze mit denen Sie ins neue Jahr gehen?
Erzbischof Lackner: Gemäß Kirchenrecht bietet ein Bischof mit 75 Jahren seinen Rücktritt an – bei mir sind das noch fünf Jahre. Wenn ich in die Zukunft blicke, wünsche ich mir, dass sich mein Arbeitsfeld weniger auf Österreich (als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz), die Europäische Bischofskonferenz oder Rom konzentriert. Obwohl ich von allen Seiten höre, dass das nicht so sein wird. Ich möchte mehr in der Diözese sein und – um ein Beispiel zu nennen – mehr Zeit haben, ältere Menschen zu besuchen. Ich möchte dort sein, wo der Herbst des Lebens und des Glaubens stattfindet.
RB: Blicken wir noch einmal auf das vergangene Jahr, auf das Heilige Jahr. Was bleibt für die Kirche, für Sie?
Erzbischof Lackner: Das Thema Hoffnung hat mich sehr berührt. Mit mehr als 230 Pilgerinnen und Pilgern aus der Erzdiözese habe ich die Diözesanwallfahrt nach Rom erlebt, ein beeindruckendes Ereignis. Persönlich prägend war meine Fußwallfahrt von Florenz nach Rom, 450 Kilometer. Auf dem Franziskusweg waren wir unter anderem zwölf Tage lang im größten Waldschutzgebiet Italiens unterwegs. Nur ein einziges Mal haben wir ein Tier gesehen – sie haben uns natürlich längst bemerkt. Jeder hat seinen Platz, niemand muss vor dem anderen davonlaufen. Diese Erkenntnis hat mich fasziniert, ebenso die Begegnung mit einem Einsiedler, der mitten im Wald lebt. Das Pilgern selbst war eine große Erfahrung. Mehrmals dachte ich, ich schaffe es nicht, es gibt keinen Platz zum Übernachten, ich kann nicht mehr... Und doch geht es weiter. Denn Gott sorgt.
RB: Themenwechsel – vor einigen Monaten hat der medial angekündigte assistierte Suizid eines bekannten Autors eine Debatte ausgelöst. Für die Kirche ist klar: Auch im Sterben hat der Mensch eine unverlierbare Würde. Bringt die Kirche ihre Stimme ausreichend ein?
Erzbischof Lackner: Als der heilige Franziskus in Assisi im Sterben lag, begrüßte er den Tod als Bruder. Heute hat sich der natürliche Prozess des Sterbens durch die Möglichkeiten der Medizin verschoben. Dabei wäre es so wichtig, die Ewigkeit wieder stärker ins soziale Leben zu integrieren. Der Tod muss ein Thema bleiben. Ich habe das Sterben meiner Eltern erlebt, das war schwer und zugleich eine große Lebensschule.
Als Kirche wollen wir in jeder noch so schmerzhaften Situation bei den Menschen sein. Wir wollen begleiten, aber wir assistieren nicht. Und wir sprechen uns dagegen aus, dass der assistierte Suizid als natürliche Todesursache anerkannt wird. Seit Jahren setzen wir uns für den Ausbau der Palliativversorgung ein. Umso erfreulicher ist es, dass auf dem Areal des Herz-Jesu-Heims in Salzburg das Raphael-Hospiz einziehen soll.
RB: Sie haben Franziskus erwähnt. 2026 ist ein Festjahr zu Ehren des heiligen Franz von Assisi: Vor 800 Jahren starb der Ordensgründer.
Erzbischof Lackner: In Salzburg ist einiges geplant. Musik liegt mir sehr am Herzen, daher freut es mich, dass Saint François d’Assise, die Oper von Olivier Messiaen, aufgeführt wird. Außerdem sind eine Ausstellung und eine Vorlesungsreihe vorgesehen. Das Thema, über das ich sprechen soll, lautet: „Franziskanisch sein und bischöflich handeln“.
RB: Geht das zusammen?
Erzbischof Lackner: Nicht leicht, aber es geht zusammen. Franziskus wollte ausdrücklich kein kirchliches Amt; er wurde nie zum Priester geweiht, sondern blieb Diakon. Für mich ist Franziskus der Ursprung, und der Franziskanerorden ist der Fluss, der aus dieser Quelle gespeist wird. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen dem Charisma des Gründers und dem Charisma der Gründung. Der Theologe Niklaus Kuster stellte die These auf, dass sich das franziskanische Ideal gerade dadurch erhalten hat, weil es „aufgehoben“ wurde. Wobei aufgehoben hier nicht abgeschafft, sondern verwandelt und transformiert bedeutet.
Die Kirche kann Jesus nicht eins zu eins übersetzen. Die Wandelbarkeit muss stets ein Thema sein.
Es braucht immer eine Übersetzung in die Welt hinein. Die franziskanische Bewegung hat sich etwa Themen zugewandt, die Franziskus selbst nicht wollte, wie der Pfarrseelsorge oder der Wissenschaft. Schon eine Generation nach Franziskus lehrten Franziskaner als Professoren an der Sorbonne in Paris. Auch die Kirche selbst unterliegt einem Transformationsprozess. Sie kann Jesus nicht eins zu eins übersetzen. Deshalb muss Wandelbarkeit stets ein Thema sein. Die große Frage ist jene nach dem Wie. Ich folge hier Hans Joas und dem moralischen Universalismus, der sagt, dass Frieden und Armut die großen Themen der Kirche in unserer Zeit sein werden – verbunden mit Gerechtigkeit, Solidarität und der katholischen Soziallehre. Die Armut beschäftigt mich besonders, dazu gehört auch das Armbleiben im Glauben. Wie Franziskus bete ich um einen demütigen und armen Glauben.
Armut zeigt sich zudem ganz konkret im Alltag. In der Gasse vor dem Bischofshaus komme ich oft mit einem Armutsmigranten ins Gespräch. Kürzlich bat er um ein Paar Schuhe – über die Caritas konnte dieser Wunsch rasch erfüllt werden. Doch es gibt auch Armut mitten unter uns, die nicht sofort sichtbar ist. Dafür müssen wir aufmerksam bleiben.
RB: Noch einmal zur Veränderung. Sie ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens – für die Kirche ebenso wie für Ordensgemeinschaften. Altes muss losgelassen werden. Wie kann das gelingen?
Erzbischof Lackner: Die Kunst des Loslassens ist unerlässlich. Wir müssen uns fragen: Ist das weiterhin notwendig? Ist das noch wichtig? Früher waren etwa Schulen oder Krankenhäuser in der Trägerschaft von Orden alternativlos; heute gibt es dieses Alleinstellungsmerkmal nicht mehr. Leben bedeutet, sich zu wandeln und zu verändern. Dieser Wandlungsprozess muss organisch geschehen. In der Kirche bewegt sich vieles, wir müssen nur darauf achten, nicht zu schnell zu institutionalisieren. Und manches – vielleicht sogar Wesentliches – geschieht nebenbei.
RB: Dieses Jahr steht bei Ihnen ein runder Geburtstag ins Haus. Wie geht es Ihnen mit dem Älterwerden?
Erzbischof Lackner: 70 Jahre – das ist schon markant. In erster Linie bin ich dankbar für das Leben selbst. Wenn ich aufstehe, sage ich: Herr, ich danke dir, dass du mich erschaffen hast. In dieser letzten Phase, in der ich das Bischofsamt ausübe – und das tue ich gerne –, denke ich darüber nach, was nach mir sein wird. Nicht, weil ich so wichtig bin, sondern weil es mir ein Anliegen ist, dass es für alle, die auch nach mir noch Verantwortung haben werden, gut weitergeht.

Als „Pilger der Hoffnung“ in Rom mit mehr als 230 Teilnehmenden: Die Diözesanwallfahrt, die auch Zeit für Begegnungen ließ, hebt Erzbischof Franz Lackner als einen Höhepunkt im vergangenen Jahr hervor. Als „große Erfahrung“ nennt er im Jahresrückblick auch seinen Fußpilgerweg auf den Spuren des heiligen Franziskus von Florenz nach Rom. 2026 wird ein Gedenkjahr zu Ehren des heiligen Franz von Assisi: Vor 800 Jahren starb der Ordensgründer.
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