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Liebe Schwestern und Brüder,
der kirchliche Jahreskreis kennt zwei große Zeiten der inneren Einkehr und Umkehr: Zum einen den Advent, jene Zeit, in der wir uns auf das Ankommen Gottes in dieser Welt einstimmen; dann die Fastenzeit, da uns Leid und Kreuz in Erinnerung gebracht werden, um schließlich in rechter Weise die Frohe Botschaft der Auferstehung zu vernehmen. Die Menschwerdung Gottes und die wunderbare Erlösung durch unseren Herrn Jesus Christus stehen im Zentrum unseres Glaubens. Auf diesen beiden Säulen stehen zwei biblische Gestalten, die Gottesmutter Maria, Sinnbild für das Ja zu Gott, und Johannes der Täufer.
Am ersten Fastensonntag wird der „Rufende in der Wüste“ im Evangelium genannt. Jesus und er waren verwandt, sie standen von Anfang an in einem besonderen Naheverhältnis; Johannes spürte die Anwesenheit dessen, der nach ihm kommen sollte, schon im Schoß seiner Mutter Elisabeth. Jesus begab sich, bevor sein öffentliches Wirken begann, vierzig Tage lang in die Wüste – nicht nur Wirkungs- sondern auch Wohnort des Johannes. Beide begannen ihre Predigttätigkeit mit einem Aufruf zur Umkehr.
Hier wird jedoch ein Unterschied sichtbar: Johannes droht – „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt“ (Mt 3,10). Er predigt das Gericht, die Feuertaufe. Jesus hingegen verkündet die erfüllte Zeit – „das Reich Gottes ist nahe … glaubt an das Evangelium!“ Hat Johannes sich etwa bei seiner Predigt im Ton vergriffen? Bei der direkten Begegnung der beiden zeigt sich der wahre Sachverhalt: Jesus steht in der Reihe derer, die sich von Johannes taufen lassen wollen. Johannes verweigert es zunächst; er erkennt den, dessen Vorläufer er sein wollte, und sagt: „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ Jesus aber ermutigt ihn: „Lass es nur zu! Nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“ (Mt 3,15)
Die Rede des Täufers vom Gericht war keine Themenverfehlung. Getroffen hat dieses Gericht jedoch nicht die Menschen, sondern nur ihn, der ohne Schuld war – Jesus selbst. Er hat die ganze Last der Sünde, die ganze Gerechtigkeit zu tragen bekommen, um uns zu erlösen.
Nun könnte man meinen, damit sei die Erlösungstat für alle Zeiten getan. Dem ist jedoch nicht so – wenn Jesus von der „ganzen Gerechtigkeit“ spricht, so sind wir in sie und in das Gericht mit hineingenommen. Das Kreuz wirft hier für den Erlöser wie für alle Menschen seinen Schatten voraus. Was Johannes angekündigt hat, gilt also sowohl Jesus als auch, seiner Spur folgend, uns. Jesus selbst sagt es im Evangelium deutlich: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Lk 9,23)
Unser Weg ist somit auch jener des Täufers. Auch wir sind heute, im Hier und Jetzt, Vorläufer und zugleich Wegbereiter Jesu, Rufende in einer Wüste. Unter Einsatz seines ganzen Lebens hat Johannes auf den hingewiesen, der nach ihm kommt und zur gleichen Zeit doch schon immer mitten unter den Menschen ist. Die Größe der Bekenntniskraft des Täufers zeigt sich darin, dass er zuerst sagt, was und wer er nicht ist. Im Evangelium heißt es, er „bekannte und leugnete nicht“ (Joh 1,20), und weiter: „Ich habe gesagt: Ich bin nicht der Christus, sondern nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht.“ (Joh 3,28)
Wir leben in einer Zeit, in welcher der Sinn des Besonderen und Ergänzungsbedürftigen im Gemeinsamen vielfach verloren gegangen ist, gerade auch in der Kirche. Weithin ist man der Ansicht, man könne alles tun, alles werden, ja – man müsse es sogar. Das Bekennen dessen, was man nicht ist, hat jedoch ebenso Gewicht wie jenes dessen, was man ist. Auf der Spur Johannes‘ sind wir gerufen, uns selbst zurückzunehmen, beiseite zu treten und Christus Weg und Raum zu bereiten. „Er muss wachsen, ich aber kleiner werden“, sagt der Täufer im Evangelium über Jesus (Joh 3,30).
In der Nachfolge Jesu hat jeder seine Aufgabe, die ihm aufgrund der Taufgnade und aufgrund von besonderer Berufung zukommt. In der Erfüllung dieser Gnade liegt Seligkeit. Der Apostel Paulus spricht von den vielen Gliedern im nur einen Leib, der Christus ist. Johannes der Täufer hat seine Aufgabe erfüllt. Was ist geschehen? Der Bußprediger, der Wegbereiter wird schließlich zum Freund, wie er selbst sagt. „Der Freund des Bräutigams aber, der dabeisteht und ihn hört, freut sich über die Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist nun für mich Wirklichkeit geworden.“ (Joh 3,29)
Keiner unter den Menschen war größer als Johannes, sagt Jesus (Mt 11,11) – und doch hat er sich in Demut kleiner gemacht gegenüber ihm, dem er vorausgegangen war. Blicken wir auf ihn und sein Zeugnis. Bekennen wir, was und wer wir sind und nicht sind. Üben wir uns in der Bescheidenheit und in der Zurücknahme, gerade in den nun angebrochenen Tagen der Vorbereitung. So mögen wir auf Ostern hin die Stimme des Auferstandenen wahrnehmen, auf dass Freude unter uns Wirklichkeit werde.
Mit meinen herzlichsten Segenswünschen für eine gesegnete und gnadenbringende Fastenzeit bin ich
Euer
+ Franz Lackner
Erzbischof
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