Tamsweg. Wer in der nur im Jubeljahr geöffneten Nordpforte der Tamsweger Wallfahrtskirche St. Leonhard steht und auf die majestätische Berglandschaft blickt, kann nachvollziehen, warum geistliche Orte so oft auch Orte der Schöpfungserfahrung sind. „Wir nennen die Pforte in Anlehnung an Rom ganz bewusst die Heilige Pforte von St. Leonhard“, sagt Dechant und Pfarrer Christian Schreilechner (im Bild) zur Öffnung dieses Kirchentores im Heiligen Jahr.

„Für alle Menschen, die als Wallfahrerinnen und Wallfahrer kommen, soll die Pforte beim Eintreten zum Tor der Barmherzigkeit Gottes werden“, so der Theologe und Priester. Es gehe um die Erfahrung eines guten Gottes, bei und mit dem man immer wieder neu anfangen kann. „Für Menschen, die sich hier geistlich gestärkt haben, soll es die Pforte der Hoffnung sein, damit man zuversichtlich wieder hinaus ins Leben geht.“
Beim Betreten des Gotteshauses öffnet sich ein unvergleichlicher Raum mit neun barocken Altären, der durch die besonderen Fenster in ein einzigartiges Licht getaucht wird. Das Auge des Betrachters erblickt Engel, Heilige – und auffallend viele heilige Vögel von kunstgeschichtlicher Bedeutung. In den wertvollen Intarsienarbeiten des Chorgestühls finden wir Strauß und Pelikan (im Bild unten), beides „allegorische Bilder für Gott und Christus“, so der Pfarrer. Der dritte heilige Vogel ist als Skulptur der Steinmetzfamilie Zenzmaier im Hof zu bewundern: ein Phönix, der einst an der Umfassungsmauer als Bild eines bunt schillernden „fremden Vogels“ für Staunen sorgte. Er ist von der seit dem 15. Jahhundert bestehenden Erzbruderschaft an der Wallfahrtskirche St. Leonhard gestiftet, die bis heute besteht.

Im Zentrum eines Seitenaltars steht die kleine, aber berühmte Statue des heiligen Leonhard, die sich ursprünglich in der Pfarrkirche Tamsweg befand. 1421 verschwand sie von dort, wurde aber jedes Mal auf einem Wacholderstrauch wiedergefunden, was zu einer großen Wallfahrtstradition führte. Einzigartig in Österreich sind die originalen gotischen Fenster, darunter das „goldene Fenster“, das seinen Stifter Erzbischof Johann II. von Reisberg zeigt, und das Fenster mit der „Apostelmühle“: die Apostel mahlen die Körner des Wortes Gottes, die Kirchenväter fangen das Mehl auf, die Gläubigen empfangen es in Form des Brotes der Eucharistie.
Neben Beichte, Wallfahrt und Themenabenden ist es vor allem der geistliche Weg, der zur Kirche führt, der das Heilige Jahr hier ausmacht. Wenn im Herbst die Glocken zum Jubeljahr und zur Leonhard-Wallfahrt am 6. November läuten, gehen viele hinauf nach St. Leonhard. Manche aus Tradition, andere aus Dankbarkeit, viele aus Sehnsucht – weil in der Stille und Weite dieses Ortes spürbar wird, was Wallfahrt seit Jahrhunderten bedeutet: den eigenen Weg mit Gott finden.

Das „goldene Fenster“, gestiftet von Fürsterzbischof Johannes II. von Reisberg.