RB: Als Franziskaner auf dem Franziskusweg: Was bedeutet der Franziskusweg für Sie? Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie wussten: „Ich muss diesen Weg gehen.“
Erzbischof Franz Lackner: Es ist mir immer im Unbewussten doch bewusst, dass so ein Weg im Leben gegangen werden muss. Warum? Weil das Ziel weit weg ist – nicht unmittelbar vor uns, kein Tages- oder Wochenziel. Das ist ein treues und gutes Abbild des Lebensweges an sich. Uns hat Rom als Ziel natürlich von Florenz an bewegt und angespornt, aber es war doch weit weg. Die Tagesziele standen im Vordergrund. So ist es auch mit dem Leben. Wir wissen, wir werden irgendwann sterben. Wir füllen unser Leben mit Tageszielen, aber wir sollen nie vergessen: Das große Ziel ist die Vollendung. Diesen besonderen Weg nun auf den Spuren des hl. Franziskus zu gehen, war für mich ein „aufgelegter Elfmeter“. Ich bin immer gerne Wege nachgegangen, da spüre ich eine große Entlastung.
RB: Wie haben Sie sich vorbereitet?
Erzbischof: Vorbereitet habe ich mich indirekt, indem ich täglich kleine Wege gegangen bin, mehrmals auf den Gaisberg und auch wieder herab. Ich bete auch mein Brevier immer im Gehen.
RB: Inwiefern spiegelt der Weg die Spiritualität des heiligen Franziskus wider und welche franziskanischen Werte sind Ihnen unterwegs bewusst geworden?
Erzbischof: Wenn man nun jene Wege geht, die Franziskus wohl ziemlich genau so gegangen ist, eröffnet sich einem die franziskanische Geisteswelt. Man sagt von Franziskus, er war nicht so sehr Beter als vielmehr selbst Gebet. Auch unser Weg war Gebet. An den wichtigen Heiligtümern begegnen einem natürlich die großen Themen, etwa in La Verna, dem „franziskanischen Golgotha“, wo Franziskus zwei Jahre vor seinem Tod die Stigmata empfangen hat. Er war krank, der noch junge Orden war riesenhaft gewachsen, zu groß für Franziskus – all das führte ihn in eine Art „Burnout“. Er zog sich in diese zerklüftete Landschaft zurück, er drängte Gott, er möge zu ihm sprechen, und die Antwort war dieses Wort des Kreuzes. Franziskus ist als Gezeichneter zurückgeblieben.
RB: Wann haben Sie sich besonders mit Franziskus verbunden gefühlt? Gab es einen Gedanken von Franziskus, der Sie begleitet hat? Und wie haben Sie die Begegnungen mit den Menschen erlebt?
Erzbischof: „Mein Herr und mein Gott“, dieser seufzende Gebetsruf hat mich begleitet. Franziskus hat mit den Stigmata das Kreuz Christi mitgetragen. Mein Rucksack war mir auch eine Art Kreuz – nicht nur als physische Last, ich hatte auch in gewissem Sinn viele Menschen dabei, die mich um das Gebet gebeten hatten. Unterwegs baten mich immer wieder Menschen darum. Ich bin auch einem Einsiedler begegnet, einfachen Leuten in den Dörfern, da musste ich an den einfachen Gruß des Franziskus denken: „Buon giorno, buona gente!“, „Guten Tag, ihr lieben Leute!“
RB: Welche Etappe war für Sie die herausforderndste und warum?
Erzbischof Lackner: Im Rückblick kann ich das nur schwer beantworten. Es hat immer wieder schwere Momente gegeben, etwa wenn unsicher war, wo wir übernachten sollten; wenn es keinen Platz in einer Herberge gab, wenn der Weg unklar war. Einmal hatte das Telefon meines Begleiters keinen Strom mehr, ich hatte meines ohnehin schon am ersten Tag im Zug vergessen – trotz allem habe ich mich geborgen gefühlt. Man lebt auf einem solchen Weg unbewusst aus der Vorsehung heraus.
RB: Welchen Rat oder welche Botschaft würden Sie Menschen mitgeben, die überlegen, diesen Weg ebenfalls zu gehen?
Erzbischof: Mit Ratschlägen bin ich vorsichtig. Jemand hat einmal gesagt: Auch Ratschläge sind Schläge. Was es sicher braucht, ist eine gute Kondition. Ich hatte Gott sei Dank einen guten Begleiter, der mich bei der Planung sehr unterstützt hat. Aber der Weg verlangt einem viel ab, man geht ihn in großer Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber der Welt, in die man eintritt. Doch solche Wege müssen bisweilen gegangen werden, das Leben selbst ist so ein Weg.
Man kann sich auch im Richtigen verlaufen, wenn man meint, es genau zu wissen.
RB: Vor knapp zehn Jahren waren Sie auf dem Jakobsweg unterwegs. Kann man die beiden Pilgererfahrungen vergleichen beziehungsweise wo liegen die Unterschiede?
Erzbischof: Aus meiner Sicht kann man sie nicht vergleichen, aus einem wichtigen Grund: Der Jakobsweg hat eine gute Infrastruktur. Alle zehn Kilometer kann man sich versorgen, auch medizinisch. Diese Infrastruktur fehlt auf dem Franziskusweg gänzlich. Auch wirkliche Herbergen habe ich nicht erlebt. Es braucht viel mehr Eigendynamik. Der zweite große Unterschied ist, dass der Jakobsweg ab den Pyrenäen sehr eben ist – auf dem Franziskusweg geht es ständig bergauf und bergab.
RB: Was nehmen Sie vom Pilgern für Ihr Leben, Ihren Alltag und Ihr Wirken als Erzbischof mit?
Erzbischof: Beim Podiumsgespräch der heurigen Hochschulwoche wurde ich gefragt, was mich leben lässt. Ich sagte damals: Bewegung. Jetzt würde ich es präzisieren: Bewegen und bewegt werden. Bewege dich und lass dich auch bewegen! Für Menschen, die alles zu genau wissen, ist das Pilgern schwer. Es braucht im Leben die Dynamik des Lebendigen. Auch Gespür ist wichtig – manchmal hat uns Google auf falsche Wege geführt, manchmal das Pilgerbuch. Diese Dynamik nehme ich mit. Man kann sich auch im Richtigen verlaufen, wenn man meint, es zu genau zu wissen. Das Leben hat immer eine Unschärfe.
Gut drei Wochen war Erzbischof Franz Lackner unterwegs. Seinen Pilgerweg startete er in Florenz. Weitere Stationen waren La Verna, das als „franziskanisches Golgotha“ bezeichnet wird, sowie Gubbio. Assisi war ein erstes großes Etappenziel, wo er neben dem Gebet am Grab des heiligen Franziskus auch das Grab von Carlo Acutis besuchte, der am 7. September in Rom von Papst Leo XIV. heilig gesprochen wurde.
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