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Innsbruck. An der Seite des Lebens stehen bis zuletzt!“ – Diese Haltung, die „hoffentlich auch in Zukunft von einem breiten gesellschaftlichen Konsens befürwortet und getragen wird“, hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler (im Bild) in einer Stellungnahme hervorgehoben. Der Referatsbischof für Lebensschutz in der Österreichischen Bischofskonferenz zeigt sich anlässlich des medial groß angekündigten assistierten Suizids des Journalisten, Autors und Lehrers Nikolaus Glattauer am 4. September besorgt über einen möglichen Paradigmenwechsel in Österreich.
Wenn das Sterben öffentlich zur Schau gestellt wird, bleibe Betroffenheit nicht aus, doch ebenso wenig die Frage, wo die mediale Grenzüberschreitung beginnt, so der Bischof. Faktum sei, „dass die persönliche Entscheidung eines Prominenten, mit dem Leben Schluss zu machen, in die Öffentlichkeit gestellt wurde“. Doch mit welcher Absicht, fragt Glettler: „Ganz großes Unbehagen hat mich erfasst, weil ich der sympathischen Person gerne gesagt hätte: Bitte, mach es nicht! Es gibt so viele Menschen, die dich schätzen und noch gerne mit dir zusammen sein würden.“
Wenn man bisher von einer nahestehenden Person gehört habe, dass ihr die Last des Lebens zu viel geworden ist, „dann haben wir doch alles in die Wege geleitet, um zu helfen – mit einem einfachen Dasein, Zuhören und schlichtweg einer Ermutigung, nicht aufzugeben“, so der Bischof, der vor der Unkultur warnt, die Auslöschung des eigenen Lebens als Tat größtmöglicher Freiheit zu preisen.
Wirklich hinterfragen wolle er die Darstellung, als ob es nur eine Form des würdevollen Sterbens gäbe – und ob alles andere nur ein erbärmliches Dahinsiechen sei, das selbstverständlich niemandem zu wünschen ist. Diese Darstellung verhöhne seines Erachtens die einschlägigen medizinischen und auf Pflege ausgerichteten Einrichtungen sowie alle Personen, die sich im familiären Umfeld um ein gutes Leben und gutes Abschiednehmen von ihren Angehörigen bemühen. Glettler: „Vor allem am Lebensende und bei schwerwiegenden Erkrankungen zeigt sich der Wert menschlicher Verbundenheit.“
Es gebe in Österreich eine relativ gut zugängliche Hospiz- und Palliativversorgung – unabhängig vom sozialen Status und allen weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen. Ob in den stationären Einrichtungen oder in der mobilen Form, Hospize stünden für eine einfühlsame Betreuung, die die individuelle Situation eines schwer kranken Menschen ernst nimmt und ebenso achtsam die Angehörigen einbezieht. „Von vielen Begegnungen weiß ich, dass vor allem die positive Atmosphäre in den Hospizhäusern dafür ausschlaggebend ist, dass Menschen in würdevoller Weise ihr Leben zu Ende führen können“, betont der Bischof: „Die Hospizangebote auszubauen, ist ein Gebot der Stunde.“
wissenswert
Vor den Folgen einer unverantwortlichen Berichterstattung über Suizide warnt Susanne Kummer, Direktorin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik, auf der dortigen Website zum angekündigten Suizid von Autor Nikolaus Glatauer. Es sei paradox, dass gerade vor dem Welttag der Suizidprävention am 10. September eine öffentliche Diskussion um assistierten Suizid die Präventionsbemühungen untergrabe. In welchem Land auch immer assistierter Suizid legalisiert wurde, sei dieselbe Entwicklung zu beobachten. „Die Zahlen werden nicht weniger. Sie steigen. Wollen wir das als Gesellschaft?“
So zeigten Daten aus der Schweiz, dass Suizidassistenz andere gewaltsame Suizidformen nicht seltener gemacht, sondern die Gesamtzahl der Selbsttötungen erhöht habe. Die häufigsten Gründe für den Wunsch nach assistiertem Suizid seien Angst vor Abhängigkeit und Verlust an Würde, Schmerzen hingegen rangierten erst an vierter Stelle, verwies sie auf eine erst heuer veröffentlichte Studie.
Die gesellschaftliche Akzeptanz des assistierten Suizids erzeuge subtilen Druck, so die Ethikerin. Es werde suggeriert, man könnte „den Angehörigen ‚eine Last ersparen‘, dem Pflegeheim ‚Kosten vermeiden‘, der Gesellschaft ‚Bürde nehmen‘“. Gesellschaft und Medien gleichermaßen müssten um mehr Prävention bemüht sein, so Kummers Appell. „Jeder Suizid ist einer zu viel – auch der assistierte.“
kap
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und gebührenfrei unter der Notrufnummer 142 erreichbar sowie unter: www.telefonseelsorge.at
Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums unter www.suizid-praevention.gv.at
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