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RB: Übergeben Sie mit Wehmut oder guten Mutes?
Johannes Dines: Beides trifft zu. Ich sage immer, Caritas-Direktor zu sein, ist einer der schönsten Jobs, die es gibt. Die Sinnfrage ist dabei einfach zu beantworten. Es geht darum, für die Menschen da zu sein. Das ist schön und anstrengend zugleich. Es ist auch eine Managementaufgabe, gerade im Blick auf die mittlerweile rund 900 Mitarbeitenden in der Caritas. Insofern bin ich ein Stück weit froh, dass diese Belastung weg ist. Ich bekomme in diesem Lebensabschnitt, der jetzt vor mir liegt, ein Stück Freiheit zurück. Das heißt, ich kann meine Tage selbstbestimmter gestalten und habe mehr Zeit für die Familie, die in den vergangenen Jahren ohne Zweifel zu kurz gekommen ist.
RB: Wenn Sie zurückblicken: Was hat Sie am meisten gefordert?
Dines: Eine Nachbarin am alten Standort der Caritas-Zentrale hat einmal schmunzelnd bemerkt: Herr Dines, seit Sie hier sind, kommt eine Krise nach der anderen. Nüchtern betrachtet reihte sich eine Herausforderung an die nächste: Eines der ersten Themen war die Unterbringung der Notreisenden, die vor allem aus Rumänien nach Salzburg kamen und kommen. Es gab viel zu wenig Schlafplätze, deshalb haben wir in der Salzburger Stadtpfarre Herrnau eine Notunterbringung eingerichtet, bis dann 2017 die Notschlafstelle „Haus Franziskus“ eröffnete.
Sehr präsent aus meiner Anfangszeit ist mir noch das Hochwasser in Kössen 2013. Wir haben innerhalb von zwei Tagen 300.000 Euro an die von der Katastrophe Betroffenen auszahlen können. Die Menschen waren sehr dankbar. Dieses Beispiel macht deutlich, wie wichtig es ist, schnelle Hilfe zu leisten.
Beschäftigt hat uns damals auch der Syrienkrieg und die vielen Menschen, die in den benachbarten Libanon flüchteten. Beides sind Schwerpunktländer unserer Auslandshilfe. Ich habe die Flüchtlingslager im Libanon besucht. Die Zustände waren unerträglich. Es war absehbar, wenn der Konflikt in Syrien anhält, machen sich die Leute auf den Weg und zwar nicht nur in die Nachbarländer. Das wollte Europa nur lange nicht wahrhaben.
RB: 2015 geht als Jahr der großen Flüchtlingskrise in die Geschichte ein. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Dines: Ich kann mich gut an den abendlichen Anruf der zuständigen Landesrätin Martina Berthold erinnern. Sie meinte: Johannes, es kommt ein Zug nach Salzburg, der ist voll mit geflüchteten Menschen. Das war der Auftakt einer sehr intensiven Phase für die Caritas. Wir waren Monate am Bahnhof, um die Flüchtlinge zu versorgen und später in den Flüchtlingsquartieren. Was diese Zeit auch beschreibt, ist die großartige Solidarität in der Gesellschaft einerseits und andererseits unter den Einsatzorganisationen. Ob mit dem Roten Kreuz, dem Samariterbund, der Feuerwehr und allen anderen, die sich engagierten. Wir haben gezeigt, dass man gemeinsam mehr bewirken kann. Das Vertrauen, das damals entstanden ist, das trägt uns heute noch.
RB: 2019 war dann intern ein wichtiges Jahr. Die Caritas übersiedelte aus der Salzburger Altstadt in einen Neubau in den Stadtteil Herrnau.
Dines: Das ist ein Meilenstein in der Geschichte der Caritas. Das Besondere ist die Architektur des Gebäudes. Die umgesetzte Philosophie „Open Space“ ermöglicht eine schnelle Kommunikation. Als Direktor war es mir wichtig mittendrin zu sein und nicht irgendwo abgehoben in einem Chefbüro in der vierten Etage zu sitzen.
Am 29. Februar 2020 haben wir dann 100 Jahre Caritas gefeiert. Gut vierzehn Tage später kam der erste Corona-Lockdown. Die Pandemie und die Auswirkungen beschäftigen uns eigentlich bis heute. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren oft an ihren Grenzen. Dazu kommt der Fachkräftemangel, der sich bemerkbar macht. Aber alles in allem: Die Caritas ist katastrophenfähig. Positiv an den Corona-Jahren war der Digitalisierungsschub. Heute ist zum Beispiel die Sozialberatung per mail oder online selbstverständlich.
RB: Die multiplen Krisen der jüngsten Vergangenheit haben die soziale Lage in Österreich verschärft. Wie merkt das die Caritas konkret?
Dines: Die hohe Inflation, die Preissteigerungen bei Mieten, Energie und Lebensmittel hat Menschen, die ohnehin schon an oder unter der Armutsgrenze leben, schwer getroffen. Wir merken zudem, dass die Ränder des Mittelstandes ziemlich ausfransen. Wenn etwas Ungeplantes ins Leben hereinbricht, wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit ist schnell der Kredit nicht mehr finanzierbar und die Wohnung weg. Es hat von Seiten der Politik schon sinnvolle Schritte wie die Valorisierung der Sozialleistungen gegeben. Doch zu oft sind staatliche Hilfen nach dem Gießkannenprinzip verteilt worden.
Es braucht Zusammenhalt und Solidarität in der Gesellschaft. Die Alternative sind massive soziale Konflikte.
RB: Wenn Sie einen Wunsch an die (künftige) Regierung frei hätten, welcher wäre das?
Dines: Fangt beim Sparen nicht bei den Falschen an. Es braucht Zusammenhalt und Solidarität in der Gesellschaft. Die Alternative sind massive soziale Konflikte und die wünschen wir uns alle nicht. Aufgabe der Politik ist es, genau hinzuschauen und Rahmenbedingungen zu setzen, dass keine Menschen zurückgelassen werden. Jede und jeder soll einen guten Platz in dieser Gesellschaft haben und in Würde leben können.
Natürlich kann nicht alles an den Staat abgegeben werden. Wir brauchen auch einen Schub in Richtung Eigenverantwortung. Das ist der Weg in der Sozialberatung der Caritas. Es ist ein Prozess, den wir den Menschen zumuten. Nur durch Zumutung passiert Veränderung. Wobei Zumutung nicht Anklage bedeutet. Wir ermutigen und begleiten die Menschen dabei Lösungskompetenz zu erlangen, damit sie ins Handeln kommen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.
Was mir derzeit abgeht, ist, dass wir nicht in Prävention investieren, sondern nur in Schadensbegrenzung. Für komplexe Herausforderungen bräuchte es komplexe Antworten.
RB: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Dines: In unseren „SafeHomes“ in Salzburg und in Kürze in Hallein finden neben den Frauen, die von Gewalt betroffen sind, auch ihre Kinder ein temporäres Zuhause. Die Frage ist, wie wir diese Kinder pädagogisch und psychologisch betreuen, damit sie ihre Traumata überwinden und sie es aus der Negativspirale herausschaffen. Das wäre schon rein volkswirtschaftlich sinnvoll. Wenn sie später womöglich in einer betreuten Wohngemeinschaft landen, kostet uns das viel mehr.
RB: Wird die Caritas weiterhin ein Teil in Ihrem Leben sein?
Dines: Ich bleibe weiter ehrenamtlicher Diakon in Hof und mit dieser Aufgabe der Caritas und der Erzdiözese eng verbunden. Die Caritas war zwölf Jahre zentraler Bestandteil in meinem Leben. Wenn es von der neuen Leitung da oder dort gewünscht wird, bei einem Projekt hilfreich mitzuwirken, dann kann ich mir das vorstellen. Aus dem operativen Tagesgeschäft werde ich mich selbstverständlich heraushalten. Da braucht es keinen Balkon-Muppet, der gute Ratschläge erteilt. In Zeiten großer Herausforderungen ist es wichtig, dass man nicht die alten Schuhe der Vorgänger anzieht, sondern mit den eigenen Schuhen neue Wege geht. Das werden Andrea Schmid und Kurt Sonneck sicherlich mit viel Engagement tun. Und dafür wünsche ich den beiden alles Gute und Gottes Segen.
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